Wenn ein Papagei im Fluggehege des Papageienschutz-Centrum Bremen e. V. erkrankt und die tierärztliche Prognose ergibt, dass eine Heilung nicht möglich ist, dem betroffenen Papagei vielmehr ein Leben mit anhaltenden Schmerzen und qualvollen Beeinträchtigen bevorsteht, stellt sich die Frage, ob auf den Eintritt des natürlichen Todes gewartet und dem Papagei bis dahin ein Leben voller Leiden zugemutet oder ob der Tod durch einen tiermedizinischen Eingriff vorzeitig herbeigeführt werden sollte, um den Papagei von seinen Leiden zu erlösen. In solchen Situationen geht es um die grundsätzliche tierethische Abwägung des ‚Wertes des Lebens‘ gegen den ‚Wert der Qualität des Lebens‘.

Die Durchführung eines solchen tiermedizinischen Eingriffs, der das Tier von seinen bevorstehenden Schmerzen und seinem Leid erlöst, wird in der Tiermedizin auch als Euthanasie bezeichnet.

Das Tierschutzgesetz berechtigt Tierärztinnen / Tierärzte die Durchführung der Euthanasie bei einem Tier, wenn ein ‚vernünftiger Grund‘ vorliegt.

Was in diesem Zusammenhang ‚vernünftige Gründe‘ sind, ist im Tierschutzgesetz nicht im Detail festgelegt. Bei der Formulierung ‚vernünftiger Grund‘ handelt es sich im juristischen Sinne vielmehr um eine ‚Generalklausel‘, so dass im Rahmen der Rechtsprechung jeweils für den Einzelfall entschieden werden muss.

Juristisch unstrittig ist, dass ein ‚vernünftiger Grund‘ vorliegt, der die Durchführung der Euthanasie bei einem Tier rechtfertigt, wenn zum Beispiel bei einem Tier eine unheilbare Krankheit vorliegt, die mit massiven, anhaltenden Schmerzen verbunden ist bzw. verbunden sein wird, oder sich durch das Alter bedingte, dauerhaft schmerzhafte Veränderungen entwickelt haben bzw. entwickeln werden.

Die Entscheidung, ein Tier aufgrund unabänderlich schlechten gesundheitlichen Zustandes zu euthanasieren, darf nach dem TierSchG nur eine Tierärztin / ein Tierarzt aufgrund einer entsprechenden Diagnose treffen.

Maßgeblich für die Durchführung der Euthanasie sind §4 und § 5 TierSchG. In §4 Abs.1 TierSchG wird u. a. bestimmt: ‚Ein Wirbeltier darf nur unter wirksamer Schmerzausschaltung (Betäubung) in einem Zustand der Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden…‘ Und im Hinblick auf die Personen, die eine Betäubung vornehmen dürfen, heißt es in § 5 Abs. 1 TierSchG: ‚An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden. Die Betäubung warmblütiger Wirbeltiere sowie von Amphibien und Reptilien ist von einem Tierarzt vorzunehmen.‘

Von einer ‚guten‘ Tierärztin / einem ‚guten‘ Tierarzt sollte selbstverständlich erwartet werden, dass sie / er die Entscheidung, ein leidendes Tier zu euthanasieren, gegenüber der Halterin / dem Halter des Tieres nicht nur nachvollziehbar begründet, sondern die Halterin / den Halter in die Entscheidungsfindung einbezieht. Sollte diese Selbstverständlichkeit nicht gegeben sein, so ist es an der Halterin / dem Halter des betroffenen Tieres, diese Einbeziehung einzufordern.

Die Entscheidung, ein krankes Tier zu euthanasieren, stellt sich in jedem Fall dann, wenn keine Möglichkeiten gegeben sind, dem betroffenen Tier durch tiermedizinische Therapien zu einem schmerz- und leidfreien Leben zu verhelfen. Die Entscheidung stellt sich aber auch dann, wenn zwar Therapiemöglichkeiten gegeben sind, aber keine hinreichend verlässlichen Prognosen über den Erfolg der Therapie möglich sind. Und die Entscheidung stellt sich außerdem, wenn die mit der Therapie verbundenen Belastungen und die Dauer der Therapie die Lebensqualität des betroffenen Tieres, die durch seinen schlechten Gesundheitszustand ohnehin schon beeinträchtigt ist, weiter mindern würde.

Die Einbeziehung der Halterin / des Halters des Tieres in die Entscheidungsfindung ist von großer Bedeutung, weil ihre / seine Erfahrungen und Beobachtungen im täglichen Umgang mit dem kranken Tier der  behandelnden Tierärztin / dem behandelnden Tierarzt wichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung der Wirkungen der Therapie auf das Wohlbefinden des betroffenen Tieres und damit für eine zutreffende tierärztliche Diagnose und Prognose geben können. Hinzu kommt, dass nur die Halterin / der Halter des schwer kranken Tieres beurteilen kann, ob therapeutisch notwendige Maßnahmen, die die gewohnten Lebensbedingungen und Lebensabläufe des betroffenen Tieres verändern, den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen und das Leid des Tieres verstärken, letztlich also therapeutisch kontraproduktiv sind.

Dieser Gesichtspunkt ist in besonderem Maße wichtig, wenn Papageien im Fluggehege des Papageienschutz-Centrum Bremen e. V. erkranken. In den Flughallen des Fluggeheges leben sie in Paaren in einem Schwarm von Artgenossen. Können Papageien aufgrund einer schweren Erkrankung bzw. aufgrund der durchzuführenden therapeutischen Maßnahmen nicht mehr in Flughallen leben, müssen sie in einen der Krankenräume des Fluggeheges umziehen. Obwohl der jeweils erkrankte Papagei nie allein in einem Krankenraum leben muss, sondern seine Partnerin / sein Partner immer mit ihm umziehen muss, entsteht durch die Trennung von den übrigen Artgenossen, durch die veränderte räumliche Umgebung, die Verhaltensweisen, wie sie in den Flughallen möglich waren, nur noch einschränkt zulassen, sowie durch die veränderten Arbeitsabläufe der Tierpflege eine erhebliche Stresssituation, die die – durch die Erkrankung ohnehin stark beeinträchtigte – Lebensqualität des betroffenen Papageis weiter mindert.

Die Entscheidung, ein schwer krankes Tier zu euthanasieren, sollte sich immer von dem Grundsatz leiten lassen, das betroffene Tier in Würde sterben zu lassen. Steht dem Tier also aufgrund der tierärztlichen Diagnose unabänderlich ein Leben voller Schmerzen, Leid und Qualen bevor, sollte sein Leben möglichst schnell beendet werden, oder wie es ein Tierarzt auf seiner Website formuliert: ‚Lieber zwei Wochen zu früh als eine Stunde zu spät‘.

Für Tierärztinnen und Tierärzte ist die Entscheidung, ein Tier zu euthanasieren, nicht ohne Risiko. Sollte sich herausstellen, dass eine Tierärztin / ein Tierarzt die Euthanasie aufgrund einer Fehldiagnose durchführte, so dass im Sinne des TierSchG das Tier ‚ohne vernünftigen Grund‘ getötet wurde, droht nach §17, S.1 TierSchG eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Dem Risiko, sich strafbar zu machen, setzen sich Tierärztinnen und Tierärzte auch aus, wenn sie, obwohl ein ‚vernünftiger Grund‘ vorliegt, die Euthanasie nicht durchführen. Nach §17, S.2b TierSchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einem ‚Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt. Nach geltender Rechtsprechung ist ein Zufügen von ‚länger anhaltende(n) oder sich wiederholende(n) erhebliche(n) Schmerzen oder Leiden‘ auch dann gegeben, wenn eine Tierärztin / ein Tierarzt diesen Zustand zulässt und das betroffene Tier nicht oder zu spät euthanasiert. Nach geltender Rechtsprechung sind Tierärztinnen / Tierärzte in diesen Fällen verpflichtet, das jeweils betroffene Tier zu euthanasieren, wenn nötig auch gegen den Willen der Halterin / des Halters des Tieres.

Der Strafandrohung durch §17, S.2b TierSchG setzen sich im Übrigen auch Halterinnen / Halter von Tieren aus, die ihren Tieren – wissentlich oder unwissentlich – ‚länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden‘ zufügen, weil sie ihren Tieren nur eine unzureichende tierärztliche Betreuung zukommen lassen.